Nüssle, Norbert
- 2020 Norbert Nüssle: Sommer, Sonne, Strand und Meer, Temporär (L 3, 1), Mannheim
- 2017 Norbert Nüssle zum 85. Geburtstag, Xylon Museum, Schwetzingen
- 2013 Galerie La Navire, Brest
- 2012 Kunst- und Kulturverein Römerberg;
- 2007 Kunstverein Mannheim
- 2006 Kunstverein Neustadt/W.
- 2002 Musée des Jacobins, Morlaix, Frankreich
- 2001 DASA Galerie, Dortmund
- 2000 Kunstverein Schwetzingen
- 1998 Marburger Universitätsmuseum
- 1996 Musée des Beaux Art, Quimper
- 1994 Château de Ratilly, Treigny
- 1981 Art Basel „one man show“ Galerie Harms
- 1974 Musée des Beaux Arts, Brest
- Norbert Nüssle. Ausst. Kat. Château de Ratilly, Treigny 1994
- Norbert Nüssle. Ausst. Kat. Musée des Beaux-Arts, Quimper 1996
- Norbert Nüssle. Ausst. Kat. Universitätsmuseum Marburg 1998
- Norbert Nüssle. Urbane Landschaften. Ausst. Kat. DASA Galerie Dortmund 2001
- Le Bihan, René; Fath, Manfred: Norbert Nüssle. Plomelin 2002
- Künstlernachlässe Mannheim (Hg.): Susanne Kaeppele, Werkverzeichnis Norbert Nüssle. Mannheim 2011
- Nüssle, Karin (Hg.): In NoNüs Welt. Text von Susanne Kaeppele. Mannheim 2012
- Berlin, Deutscher Bundestag
- Brest, Musée Municipal, Frankreich
- Freiburg, Städtische Museen, Museum für Neue Kunst
- Regierungspräsidium Karlsruhe
- Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle
- Mannheim, Kunsthalle
- Marburg, Universitätsmuseum
- Morlaix, Musée des Jacobins, Frankreich
- Quimper, Musée des Beaux-Arts, Frankreich
- Stuttgart, Staatsgalerie
- Treigny, Musée Château de Ratilly, Frankreich
- Regierungspräsidium Tübingen
- 1977 Prix de I'U.A.C., Camaret, Frankreich
Mit seinen Collagen hält Norbert Nüssle vielschichtige urbane Situationen in der Bretagne und in Mannheim fest. Seine Arbeiten sind keine abstrakte Kompositionen, sondern kritische Reflexionen der Wirklichkeit. Er sammelte Alltagsgegenstände auf der Straße und collagierte sie in seine Bilder ein, durch die Verwendung dieser "objets trouvés" ist Norbert Nüssle einzigartig in der Kunstszene.
Biografisches
Norbert Nüssle wurde 1932 in Heidelberg geboren, wuchs aber in Mannheim auf. Ab 1951 studierte er Romanistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie in Paris und Lille. Er zeichnet vermehrt, als er während des Studiums in Paris war. Seit 1963 lebte er in Mannheim und lehrte an einem Gymnasium Latein und Französisch. 1974 heiratet er die Schauspielerin Karin Möller, 1978 kommt ihr Sohn Mondrian auf die Welt.
Seit 1983 (-2003) hatte er ein Atelier in der Alten Sternwarte Mannheim, seit 1983 bis zu seinem Tode 2013 lebte er in einer großen Wohnung mit Atelier in B 7 in Mannheim.
Werkphasen
Frühwerk
In seinem Frühwerk war der Künstler rein malerisch auf den Spuren der Art Brut unterwegs, der Kunst der Außenseiter und psychisch Kranken (früher Geisteskranken), die ja keinerlei Kontakt zur traditionellen Kunstszene oder Kunstausbildung an Akademien hatten.
Diese Art der Bildenden Kunst trägt häufig kindliche Züge, wirkt oft grob oder roh und hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der Malerei ab 1950.
Nüssle frühe Arbeiten
Farbgewaltig, mit einer einfachen, an Kinderzeichnungen gemahnenden Formensprache dringt Norbert Nüssle in ein künstlerisches Universum vor, das häufig surreal wirkt mit unüblichen Farbklängen. Häufig sind hier Menschen das Bildthema, oft in Paarbeziehungen, wie später dann nicht mehr.
Die ersten Collagen
Schon 1965 erscheint ein erstes Bild des Künstlers, das man als den Beginn einer neuen Entwicklung in seiner künstlerischen Technik benennen möchte: die erste Collage von Norbert Nüssle.
Auch wenn es sich nur um eine aufgeklebte Eintrittskarte der Staatsoper Wien handelt, aber durch diese Geste geht der Künstler über das rein Malerische hinaus und variiert so ein simples Paarbild in einem freundlichen Zimmer.
In den späten 1960er Jahren beginnt Norbert Nüssle damit, große Köpfe zu gestalten und sie dann auch zu öffnen bzw. sie als anthropomorphe Kopffüßler aufzufassen. In den einzelnen Kompartimenten dieses Kopfes., die als Augenhöhlen aufzufassen sind, ist der Durchblick in den Himmel oder die Landschaft beheimatet. In Brusthöhe spielen sich häufig erkennbare, erzählerische Szenen ab, wie etwa ein im Stehen vollzogener Geschlechtsakt, der so schon früh die sexuelle Obsession und Subversivität des Künstlers anzeigt, was die Darstellung in der Bildenden Kunst betrifft. Überall befinden sich nun Collageteile eingebaut, auch in Farbe.
Alter ego Pim
1969 erscheint zum ersten Mal des Künstlers alter ego Pim. Der große irische Dramatiker Samuel Beckett hatte in seinem zuerst auf Französisch erschienen Buch „Wie es ist“ (1958) die Figur des Pim entwickelt, dessen Identität im Stadium der Auflösung ist. Mit dem Gesicht im Schlamm liegend, Konservendosen um den Hals gebunden, berichtet er, wie es "vor Pim", "mit Pim" und "nach Pim" war. Vollständig absurd, abstrus, sinnentleert und existenzialistisch aufgeladen scheint dieses Romanfragment, das Norbert Nüssle als begeisterter Leser in die visuelle Bildsprache umsetzte. Der bildende Künstler übersetzt dabei die Äußerungen des Bewusstseins des Namenlosen, die Beckett ohne die übliche Syntax aufschrieb und deren Satzeinheiten er bis zur Sinnentleerung variierte, in seine ungewöhnliche Collagesprache. Gerade die „geöffneten“ Köpfe mit ihren zerfetzten Realitätspartikeln erscheinen als eine adäquate Übertragung in eine andere künstlerische Dimension.
nüssle - pims
Ein besonders schönes Exemplar dieser neuen Gattung ist Pim Parasol von 1974 (nonue_0318; parasol = Sonnenschirm). Man sieht einen Mann mit sehr großem Kopf (Pim) mit kleinem Sonnenschirm am Strand. An diesem Werk ist vieles zu beobachten, was wesentlich wird für den Künstler: Nüssle verbringt viele Sommer in der Bretagne am Strand, deshalb arbeitet er jetzt realen Sand in die Bilder ein, aber auch Moltofill. In dem geöffneten Kopf im Profil erscheint in einem der Fenster ein perfektes kleines Abbild von Le guerrier de Faouët (Kriegerdenkmal), das der Künstler 1970 als eine größere Arbeit schuf. Faouët in der Bretagne war der erste Ort, an dem er und seine Frau sich längere Zeit aufhielten. Das Bild ist voller Assoziationen an das Strandleben: Collagestückchen aus Eispapier, Zigarettenschachteln, Wirtshausrechnungen. Aber auch kleine Fotos, denn zunehmend fügt der Künstler selbst aufgenommene Lichtbilder in seine Arbeiten ein.
Die Liebe zu Frankreich
Seit seinen ersten Aufenthalten in Frankreich während des Studiums fährt er jedes Jahr dorthin, besonders gern in seine geliebte Bretagne. In Kerlouan in der Nähe von Brest hatte er lange ein Sommeratelier (1978-1999).
Diese Aufenthalte am Meer, mit seinen Stränden, Häfen, aber auch den Dörfern und Straßen haben sein Werk lange bestimmt.
Ein weiteres häufiges Motiv des Künstlers bilden seine Hafenbilder.
Die Arbeit Grandchamp, 1978 (nonue_0419) zeigt - ein wenig von oben gesehen - das Hafenbecken, im Vordergrund sind erneut ein großer Mund und andere Reklamefetzen aus Zeitschriften zu sehen. Das übliche Verfahren für den Künstler bei der Produktion solcher Werke wurde es, mit dem Auto am Straßenrand zu stehen und - bestaunt von Passanten - das Bild auf der Ladeklappe seines Kombi zu arbeiten. Erneut wandelt sich Nüssles Stil: von eher kleinteiligen zu größeren Stücken Papier in der Collage im Vordergrund. Zahlreiche Bilder von den 60er Jahren bis zum Lebensende belegen seine Begeisterung für Schiffe und den Hafen an sich
Projekt: Die Straßen nach Paris
Ein berühmtes Projekt des Künstler begann 1974: „Die Straße nach Paris“: Von vielen Orten, durch die er im Sommer fuhr, legte Norbert Nüssle Bilder der Straßen, der Ortsdurchfahrten an, die mit den Materialien versehen waren, die er vor Ort fand. Die Fahrten zu den Zielen in Frankreich waren damals ungleich beschwerlicher als heute, weil noch keine Autobahn existierte, aber sie waren auch lebendiger und variationsreicher. Die Arbeiten belegen den Charakter des Unterwegsseins, der Fahrten in die geliebte Bretagne auf inspirierte Weise.
So ist etwa auf dem hier abgebildeten Beispiel Dommartin-Dampierre, la route de Paris von 1974 (nonue_0321) zu erkennen, dass der Künstler eine leichte Biegung der Straße anlegt, die die Komposition wesentlich interessanter macht als eine reine Frontal- oder Seitenansicht. In den 70er Jahren steht der Bleistift- oder Tuschestrich noch sehr im Vordergrund, hier zu sehen an den Stromleitungen, die sehr charmant gegeben sind. Andererseits verwendet Nüssle auch viel Aquarell- oder Gouachefarbe, um die farbigen Flächen anzulegen. Für den Betrachter sehenswert werden aber seine Trouvaillen der Straße: Kaugummipapierchen, Filmschachteln oder Zeitungsschnipsel, die die Häuser bilden, also die Zeichnung ersetzen.
Ein späteres Beispiel dieser Serie zeigt Nüssles Variationsmöglichkeiten: Un été à Valmy, la route de Paris (1979, nonue_0460) präsentiert die Straße nach Paris in Valmy. Erneut ist ein Straßendorf zu sehen, die Häuser werden wieder aus Collageschnipseln gebildet, neu hingegen ist (seit 1977) das angeschnittene Gesicht mit großem Mund im Vordergrund.
Plätze
Zu Beginn der 1980er Jahre tritt ein neues Thema in das Universum des Künstlers: die Mannheimer Plätze. Topografisch exakt gibt Norbert Nüssle etwa den Mannheimer Paradeplatz, den Alten Messplatz oder den Marktplatz wieder. Authentische Zustandsberichte, die die Wirklichkeit der Zeit festhalten, aber eben auch die Stadt porträtieren. Um diese Zeit begann er zudem, sich für Baustellen, das Innere der Erde zu interessieren und es zu dokumentieren. Zunächst fertigte er Skizzen an, sammelte vor Ort die authentizitätsstiftenden Materialien und fügte in die Skizzen Polaroidfotos ein, die er aktuell aufnahm - er entwarf also seine Welt vor Ort.
nüssle plätze
Aber auch der Begriff des Panoramabildes muss hier fallen, allerdings der Typus der mit Fischaugenobjektiv (Fisheye) aufgenommenen Rundumansicht, eine sich immer um ein Zentrum drehende, sich wölbende Kreis- bzw. Kugelform. Hier liegt aber auch eine biografische Ursache zu Grunde: Norbert Nüssle ist seit der Entdeckung der Erdkrümmung als Jugendlicher davon besessen, die Erde als Kugel wiederzugeben, egal ob innen oder außen. Dieser Umstand wurde zu einem Charakteristikum seiner künstlerischen Arbeit, alle seine Plätze und Straßen tragen dieses Merkmal.
Innenräume
Waren die Sujets seiner ersten Arbeiten in den 1960er Jahren zumeist formatfüllende menschliche Figuren im Innenraum, so kommen später die Räume selbst zu Wort und die menschliche Gestalt wird immer kleiner. Ein sehr schönes blaues Exemplar hing lange in Nüssles Schlafzimmer: Die alte Wohnung. (Anfang der 1970er Jahre, nonue_0462) Bezeichnenderweise besteht der collagierte Teppich aus blauen Gauloises-Packungen. Ein Paar liegt im Bett, die Fenster lassen den Durchblick zu, an der Wand steht ein Ofen. Der Liebreiz dieser Innenraumarbeit verdankt sich ganz der Farbe und den nur angedeuteten Gesichtern.
In späteren Jahren mehren sich die Innenräume im Werk von Norbert Nüssle, ein Beispiel ist La cuisine éternelle von 1997 (nonue_0774)
Viele Menschen sitzen um einen Tisch, minutiös ist mit Tapetenresten und Fotos ein sehr lebendiger Innenraum gestaltet, der zu sausen scheint. Das Prinzip der Collage bleibt, aber die Innenräume scheinen sich zu drehen, um ein Zentrum, um den Tisch zu rasen. Eine besondere Aufgabe nehmen stets die Decken ein, die zumeist weiß beplankt sind und speziell in ihrer Verdrehtheit auffallen.
Die Fernsehleichen
Eine weitere Variante des Innenraumbildes der 1990er Jahre wird die sogenannte Fernsehleiche, ein in der Kunstgeschichte einmaliges Sujet, das sicher auch dem zunehmenden Alter und dem Nachlassen der Mobilität des Künstlers geschuldet ist. Als Beispiel ist hier Die zweite Fernsehleiche von 1999 (nonue_0814) zu nennen.
In einem Wohnzimmer liegt eine wilde Leiche am Boden, die sich sichtlich einem Krimi im Fernsehen verdankt. Links an der Wand sieht man ein Männergesicht, jede Menge Stofffetzen, eine Dusche mit kariertem Fliesenboden und erstaunlicherweise den Himmel.
Ohne jedes Vorbild in der Kunstgeschichte schuf der Künstler dieses neue Sujet, das erneut die existenzialistische, multiperspektivische, aber auch ironische Haltung seines gesamten Schaffens aufweist.
Serviettenbilder
Eine weitere völlig eigene Erfindung des Künstlers sind die sogenannten Serviettenbilder, die seit 1988 entstehen: Manchmal nur mit Tusche, mal mit Farbe oder gar mit Moltofill belegt werden Servietten als Grundlage von kleinen Werken benutzt.
Eigentlich verdanken sich diese Arbeiten der Geselligkeit, dem gemeinsamen Essen im Lokal unterwegs, denn die Grundlage sind ja Papierservietten. Der Künstler berichtet, dass er schon immer auf jeden Fetzen Papier gezeichnet habe, wozu neben den Visitenkarten, Bierdeckeln, Reklamezetteln usw. eben auch Papierservietten gehörten. Durch Moltofill oder Collagebestandteile werden sie immer mehr ihrem ursprünglichen Zweck und ihrer genuinen Beschaffenheit enthoben. Dass sie die Grundlage für typische Themen aus dem Nüssleschen Universum wie Straße oder Platz bilden, mag dann kaum noch verwundern. Eher der Umstand, dass die Servietten als Grundlage häufig noch gefaltet oder geknüllt werden, was die Bearbeitung weiter erschwert.
Diese Arbeiten sind völlig singulär in der Kunstgeschichte, wie die Fernsehleichen und die großen geöffneten Köpfe des Frühwerks. Norbert Nüssle entwickelte die heute weniger gebräuchliche Gattung der Papiercollage weiter, was in hohem Maße die Bedeutung seines künstlerischen Werks ausmacht.
Werkverzeichnis Norbert Nüssle
Die Künstlernachlässe Mannheim haben im September 2011 sein Werkverzeichnis online auf dieser Homepage veröffentlicht und ein kleines Booklet (inkl. DVD) dazu gemacht. (Preis: 25,- Euro; zu bestellen unter info@kuenstlernachlaesse-mannheim.de)
Text: Susanne Kaeppele